Genf, London, Stockholm: In diesen drei europäischen Städten wurden 2025 brisante politische Verhandlungen geführt. Sie dienten als Treffpunkt für Delegationen der USA und Chinas. Nach einer ersten Annäherung in der Westschweiz im Mai kamen die Vertreter der beiden Supermächte im Juni in der britischen Metropole zusammen. Dort einigten sie sich auf ein Rahmenabkommen zu den künftigen Handelsbeziehungen, insbesondere, was den Umgang mit seltenen Erden anbelangt. Ende Juli kam es zu einem weiteren zweitägigen Treffen in der schwedischen Hauptstadt. Doch der Durchbruch blieb aus. Immerhin hat US-Präsident Donald Trump die zwischenzeitlich eingeführten Zölle um weitere 90 Tage bis zum 10. November, 00:01 Uhr Ortszeit Washington, ausgesetzt.
Obwohl diese Frist mittlerweile zu mehr als der Hälfte verstrichen ist, scheint die Sorge der Investoren vor einer handelspolitischen Eskalation verflogen zu sein. Das gilt auch und gerade für die Handelsplätze in Fernost. Der mit in Hongkong kotierten China-Aktien bestückte Hang Seng Index notiert auf dem höchsten Niveau seit annähernd vier Jahren. In den ersten drei Quartalen 2025 hat die Benchmark ein Drittel an Wert gewonnen. Der Hang Seng führt damit das globale Ranking wichtiger Aktienmärkte an (siehe Grafik). Zwar können die auf dem chinesischen Festland gehandelten Aktien nicht Schritt halten, mit einem Plus von 17% liegt der CSI-300 jedoch gleichauf mit dem US-Technologiegradmesser Nasdaq-100.
Die Rallye in Fernost geht auf Treiber zurück, die auch an der Wall Street und andernorts für viel Euphorie sorgen. Der chinesische Aktienmarkt profitiert vom Boom der künstlichen Intelligenz (KI) sowie dem damit einhergehenden generellen Run auf Technologiewerte, insbesondere aus dem Halbleitersegment. Als eine Art Initialzündung entpuppte sich DeepSeek. Anfang Jahr wurde die chinesische KI-Applikation vorgestellt – sie soll besonders effizient und kostengünstig sein. Hinzu kommt, dass Peking die Produktion von Halbleitern im Inland forcieren möchte. Gleichzeitig sorgt die Staatsführung mit dem Plan der «Anti-Involution» für Aufsehen. Er sieht vor, den teils ruinösen Wettbewerb in Sektoren wie dem Bergbau, der Photovoltaik oder der Essenslieferung einzudämmen. Enorme Überkapazitäten und ein harter Preiskampf zehren seit Jahren an der Profitabilität und führen zu einem Schrumpfen (Involution) dieser und anderer Wirtschaftszweige.
Auch in den kommenden Wochen und Monaten dürfte die Politik für Chinas Aktienmarkt bestimmend bleiben. Nicht nur, dass die «Deadline» im Handelsstreit mit den USA näher rückt – gleichzeitig läuft die Arbeit am 15. Fünfjahresplan. Noch im Oktober sollen die Inhalte – nach einem vierten Plenum – vorgestellt werden. Für die Verabschiedung des Fünfjahresplans, der den Zeitraum 2026 bis 2030 abdeckt, ist der Volkskongress im kommenden März zuständig. Die Analysten von J.P. Morgan verweisen darauf, dass sich Peking das langfristige Ziel gesetzt hat, das Bruttoinlandsprodukt (BIP) sowie die verfügbaren Haushaltseinkommen bis 2035 gegenüber dem Niveau von 2020 zu verdoppeln. Daraus leiten die Analysten für die kommenden fünf Jahre ein durchschnittliches Wachstum zwischen 4% und 5% jährlich ab. Damit würde das grösste Schwellenland die aktuelle Gangart in etwa halten (siehe Grafik).
Um das zu erreichen, dürfte Peking einen Fokus auf technische Innovationen legen, um die Widerstandsfähigkeit der industriellen Produktionsketten zu stärken. Ausserdem rechnet J.P. Morgan mit einem Ausbau der Kapazitäten auf dem Gebiet der KI, der neuen Infrastruktur sowie der Forschung. Auf der Nachfrageseite dürfte die Regierung, gerade angesichts der Unwägbarkeiten im globalen Handel, versuchen, den inländischen Konsum zu stärken. Generell bleibt J.P. Morgan mit Blick auf Chinas Aktienmarkt positiv. Neben der «Anti-Involution» und dem anstehenden Fünfjahresplan argumentieren die Analysten mit einem möglicherweise verstärkten Engagement der Privatanleger. Momentan liegt das Kapital der privaten Haushalte in China lediglich zu rund 5% in Aktien. Mit 60% sind Immobilien die dominierende Anlage, ein weiteres Viertel des Vermögens wird in bar oder auf Bankkonten gehalten.
Stand: 29.09.2025; Quelle: ReutersHistorische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen.
e = erwartet; Stand: September 2025; Quelle: J.P. MorganHistorische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen