Es ist nicht bekannt, wie viele Investoren das Märchen «Goldlöckchen und die drei Bären» tatsächlich gelesen haben. Fest steht, dass diese Geschichte mal wieder als Erklärung für starke Aktienmärkte herhalten muss. Im Märchen sieht sich Goldlöckchen im Haus der drei Bären um. Es findet unter anderem einen Brei, der weder zu heiss noch zu kalt ist. Die Börsenanalogie hierzu lautet: Die Wirtschaft entwickelt sich robust, ohne zu überhitzen. Gefragt sind in einem solchen Umfeld Risikoanlagen, allen voran Aktien. In der englischen Börsenberichterstattung von Reuters tauchte der Begriff «Goldilocks» in den vergangenen drei Monaten knapp 120 Mal auf. Im selben Zeitraum hat der S&P 500 Index um mehr als ein Zehntel an Wert gewonnen. Anfang Februar kletterte die US-Benchmark zum ersten Mal in ihrer fast 70-jährigen Geschichte über die Marke von 5'000 Punkten. Die «märchenhafte» Rekordjagd steht in einem engen Zusammenhang mit der Geldpolitik. Investoren setzen darauf, dass die US-Notenbank demnächst einen Zinssenkungszyklus einläutet.
Allerdings hat neben dem Schlagwort «Goldilocks» auch der Ausspruch «higher for longer» einen festen Platz in den Wall- Street-Nachrichten. Im Klartext: Die USD-Zinsen könnten noch für längere Zeit auf einem hohen Niveau verweilen. «Der Job ist nicht erledigt», lautet das Mantra von Fed-Präsident Jerome Powell. Er wird nicht müde, auf die Datenlage zu verweisen. Die US-Notenbank möchte mehr Belege dafür sehen, dass die Teuerung tatsächlich in Richtung des Zielniveaus von 2% zurückkommt. Genau an dieser Stelle gab es zuletzt einen Dämpfer. Anfang Jahr hat die Inflationsrate in den USA weniger stark abgenommen als erhofft. Im Januar 2024 expandierte der Consumer Price Index (CPI) auf Sicht von 12 Monaten um 3.1%. Ökonomen hatten im Schnitt mit einer Rate von 2.9% gerechnet. Während die Spritpreise gefallen sind, mussten die US-Verbraucher für Transportdienstleistungen sowie Restaurantbesuche deutlich tiefer in die Tasche greifen.
An der Wall Street sorgte der jüngste Bericht aus dem Bureau of Labor Statistics nur für einen kurzen Schockmoment. Der S&P 500 Index sackte unter die 5'000er-Marke ab. Innert zwei Handelssitzungen hatte die Benchmark diesen Rücksetzer aufgeholt. Geblieben ist ein erhöhtes Renditeniveau. Mit 4.28% liegt die Verzinsung der 10-jährigen US-Staatsanleihe mehr als 40 Basispunkte über dem Wert von Ende 2023. Hinzu kommt die Verschiebung der geldpolitischen Erwartungen. Geht es nach dem CME Fed Watch Tool, dann müssen sich Anleger noch bis zum 12. Juni gedulden. An diesem Tag könnte die Fed die Zinsen zum ersten Mal nach unten setzen. Noch vor vier Wochen indizierten die Terminmärkte diesen Schritt bereits für den 20. März. Sollte es bei der Inflation zu weiteren Überraschungen nach oben kommen, könnte der eine oder andere Bulle im Sinne des «Higher for longer»-Szenarios ins Grübeln kommen. Das gilt umso mehr, da der S&P 500 nach der jüngsten Rallye alles andere als günstig ist. Laut Factset lag das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) für den Index Anfang Februar zum ersten Mal seit knapp zwei Jahren bei mehr als 20. Damit übertraf die Bewertungskennziffer ihren 10-Jahres-Durchschnitt um annähernd 15%.
Der jüngste Anstieg der Renditen sowie des US-Dollars ging auch an Gold nicht spurlos vorbei. Zwischenzeitlich sackte der Preis für eine Feinunze unter die Marke von USD 2'000 ab. Gleichwohl trennen die Krisenwährung nur rund USD 65 vom Schlusskurs 2023, dem höchsten jemals fixierten Jahresultimo. Sobald die Fed die Zügel tatsächlich lockert, könnte die Zeit für eine neue Aufwärtsbewegung bei Gold kommen. Daran glaubt auch das Gros der Analysten. Laut einer Ende Januar von Reuters durchgeführten Umfrage liegt der erwartete Durchschnittspreis für das 2. Quartal 2024 bei USD 2'050. Mit Blick auf 2025 trauen nicht wenige Researchhäuser der Feinunze Notierungen von USD 2'100 und mehr zu. Angenommen, das Edelmetall steuert tatsächlich neue Rekordmarken an, während der Wall Street etwas die Luft ausgeht: Dann könnte die Zeit für eine Long/Short-Strategie auf das Duo Gold/S&P 500 gekommen sein.
Quelle: U.S. Bureau of Labor Statistics; Stand: Februar 2024 Historische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen.
*keine FED-Meetings im April und August 2024. Quelle: CME FedWatch Tool (CME Group); Stand: 18.02.2024 Historische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen.