Prognostizierte Zeitenwende
Die International Copper Study Group (ICSG) residiert im Zentrum von Lissabon. Zweimal jährlich lädt die 1992 auf Initiative der Vereinten Nationen (UN) gegründete Organisation Regierungs- und Industrievertreter zusammen mit Marktbeobachtern in die portugiesische Metropole ein. Parallel zu den Diskussionen zur Situation am globalen Kupfermarkt nutzt die ICSG dieses Treffen, um ihren Ausblick zu aktualisieren. Hierfür nimmt ein Statistikausschuss Angebot und Nachfrage unter die Lupe. Nach dem Frühjahrstreffen 2024 hat die ICSG ihre jüngste Prognose vorgelegt. Darin halten die Experten an der Einschätzung fest, dass der globale Kupfermarkt 2024 ein Art Zeitenwende erleben wird: Nach Jahren der deutlichen Unterversorgung soll das Kupferangebot die Nachfrage übertreffen. Die ICSG geht davon aus, dass 162'000 Tonnen mehr von dem wichtigsten Industriemetall zur Verfügung stehen werden, als benötigt.
Angebot: diverse Probleme
An den Terminmärkten liessen sich die Gemüter durch diese Einschätzung nicht beruhigen. Vielmehr setzte Kupfer eine bereits im Februar gestartete Rallye fort. Ende Mai kletterte der an der London Metal Exchange (LME) gehandelte Terminkontrakt zum ersten Mal über die Marke von USD 11'000. Zwar hat der Future mit einer Fälligkeit in drei Monaten zuletzt korrigiert, gleichwohl kostet eine Tonne Kupfer aktuell annähernd ein Fünftel mehr als Ende 2023. Woher kommt der plötzliche Preisanstieg? Ein zentraler Treiber hinter der Rallye ist die Sorge vor einer mittelfristigen Verknappung des Metalls. Argumente für ein solches Szenario liefert sowohl die Angebots- als auch die Nachfrageseite. Im Bergbausektor – das meiste Kupfererz kommt aus Lateinamerika – harzt es an verschiedenen Stellen. Einige Minen haben Probleme, den Betrieb zum Laufen zu bringen. Gleichzeitig gibt es Verzögerungen bei der Erschliessung von neuen Abbauprojekten.
Nachfrage: zusätzliche Treiber
In der Mine Cobre Panamá steht der Betrieb seit dem vergangenen Herbst. Nach vielen Protesten hatte das oberste Gericht des Landes ein Bergbaugesetz für verfassungswidrig erklärt. Dadurch verlor das Unternehmen First Quantum die Konzession für den Betrieb der grössten Tagebaumine Zentralamerikas. Laut den Zahlen der ICSG stand diese Abbaustätte vor ihrer Schliessung für knapp 1.7% der weltweiten Kupferproduktion. Die Probleme bei den Bergbauunternehmen treffen auf ein strukturelles Wachstum des Kupferbedarfs. Seit jeher ist das rote Metall wegen spezieller Eigenschaften wie Formbarkeit, Korrosionsbeständigkeit und Leitfähigkeit auf dem Bau, im Fahrzeugbau sowie der Elektrotechnik unverzichtbar. Als neuere Treiber entpuppen sich E-Mobilität, regenerative Energie oder die Medizintechnik. Ein Beispiel: In einem batteriegetriebenen E-Auto ist das 3.6-Fache an Kupfer verbaut wie in einem herkömmlichen Verbrenner.
Bullishes Szenario
Trotz der skizzierten Faktoren könnte die jüngste Preisrallye bei Kupfer etwas zu weit gegangen sein. Das gilt umso mehr, als die hohen Notierungen bereits auf die Nachfrage durchschlagen. In China, dem wichtigsten Abnehmerland, sollen sich die Unternehmen zuletzt mit Kupferkäufen zurückgehalten haben. Fest steht, dass der globale Markt im ersten Quartal 2024 gut versorgt war: Das ICSG meldete eine weltweite Kupfernachfrage in Höhe von knapp 6.5 Mio. Tonnen. Dem stand ein um 287'000 Tonnen höheres Angebot gegenüber. Nach Ansicht der Analysten von J.P. Morgan wird es dabei nicht bleiben. Seit Monaten setzen sie sich intensiv mit der Gefahr einer langfristigen Verknappung auseinander. Die US-Grossbank rechnet für die kommenden Jahre mit einem strukturellen Defizit. Gleichwohl kam die jüngste Korrektur für die Experten nicht überraschend. Diese sei «sehr gesund» und könne die Nachfrage aus China neu entfachen. Gleichzeitig bezeichnete J.P. Morgan den vorab erwarteten und mittlerweile eingetretenen Rücksetzer als «Grundstein für einen weiteren Preisanstieg.» Konkret sehen die Analysten Kupfer Ende Jahr wieder über der Marke von USD 10'000. Für 2025 erwarten sie eine durchschnittliche Notierung von USD 11'050.