«Scheinriese»
Auf der Weltkarte belegt die Schweiz nicht mehr als die Grösse eines Punktes. Und doch schafft es das «Zwergenland», Eindruck zu machen. Das gilt nicht nur für zahlreiche Welt-Leader-Positionen in unterschiedlichen Industrien wie im Pharma- oder auch Lebensmittelbereich. Auch die Schweizerische Nationalbank versteht es, auf internationaler Bühne zu imponieren. So hat die SNB als erste grössere Zentralbank völlig überraschend Ende März ihren Zinszyklus verändert. Die Währungshüter rund um den scheidenden Präsidenten Thomas Jordan senkten den Leitzins um 0.25 Prozentpunkte auf 1.50%. Damit unterstrich die SNB ihre Vorreiterrolle: Im Juni 2022 lieferte sie die Vorlage für den ersten Zinsschritt nach oben.
Preisstabilität
Selbst wenn die EZB mittlerweile nachgezogen ist, liegt die Schweizerische Nationalbank weiter vorne. Auf der jüngsten Zentralbanksitzung im Juni drehte die SNB den Geldhahn weiter auf und ging mit 2:1 in Führung. Möglich machte dies eine günstige Entwicklung bei den Preisen. Im Mai legte die Inflation im Vergleich zum Vorjahresmonat um 1.4% zu und befindet sich damit klar unter der von der Nationalbank für Preisstabilität gesetzten Obergrenze von 2%. Der Inflationsdruck soll den Prognosen zufolge auch weiter nachlassen. Für dieses Jahr rechnet die SNB mit einer Teuerung von 1.4%, den Zielwert für 2025 passten die Währungshüter sogar von 1.2% auf 1.1 % nach unten an. Allerdings wird auch von einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums auf rund 1.0% ausgegangen, was noch eine weitere Zinssenkung in diesem Jahr nach sich ziehen könnte.
Weiter im Rückstand
Die lockere Geldpolitik dürfte auch der Grund sein, warum der Schweizer Aktienmarkt im zweiten Quartal auf die Eurozone etwas Boden gutmachen konnte. Während der SMI um 2.4% vorankam, tauchte der EURO STOXX 50 um 3.5% ab. Mit Blick auf das erste Börsensemester wiederholt sich allerdings das Bild aus dem Jahr 2023. Mit einem Plus von 7.8% liegen die heimischen Standardwerte einen knappen Prozentpunkt hinter dem EURO STOXX 50 zurück, im Vergleich zum S&P 500 oder Nikkei 225 fehlen sogar rund 7 Prozentpunkte. Die Aufholjagd verläuft also noch sehr gemächlich. Ob der SMI diese nun in der zweiten Jahreshälfte fortsetzen kann, ist ungewiss. Zum einen dürften sich die Märkte als Nächstes auf die mit Sehnsucht erwartete erste Zinssenkung in den USA im September konzentrieren, zum anderen hält sich der Optimismus von zahlreichen heimischen Grosskonzernen noch in Grenzen.
Wahlen als Unsicherheitsfaktor
Das zweite Semester ist aber auch geprägt von politischen Unsicherheiten. Gleich zu Beginn finden in Frankreich Neuwahlen statt. Nach ersten Umfragen liegt der rechtspopulistische Rassemblement National von Marine Le Pen klar vorne. Diese möchte unter anderem das Renteneintrittsalter herabsetzen und eine Einkommenssteuerbefreiung für junge Arbeitnehmer einführen, die zu jährlichen Mehrausgaben von EUR Mrd. 100 führen könnte. Eine derartige Haushaltspolitik dürfte für die Finanzmärkte nicht ohne Folgen bleiben. Dies gilt ebenso in den USA, wo die Bürger im November an die Wahlurne gebeten werden. Dort stehen sich der aktuelle Amtsinhaber Joe Biden und sein Vorgänger Donald Trump erneut als Kontrahenten gegenüber. Mit Blick auf ihren politischen und wirtschaftlichen Kurs sind beide Lager weit voneinander entfernt. Doch selbst wenn die Nervosität im Vorfeld hoch ist, sind Urnengänge für die Wall Street häufiger positiv als negativ. Seit 1928 schloss der S&P 500 in 20 von 24 Wahljahren mit Gewinn ab.