Seit mehr als 100 Jahren ist der US-Dollar zweifellos die Weltreservewährung. Doch momentan scheint der Status einen Knacks zu bekommen. Jüngste Entwicklungen auf den globalen Märkten legen die Vermutung nahe, dass der Greenback seinen Zenit überschritten haben könnte. Vor allem das Reich der Mitte möchte den Einfluss des Dollars auf den Welthandel schwächen. Daher hat Peking zuletzt einen Schwerpunkt darauf gelegt, Öl- und Gasgeschäfte in Yuan abzuwickeln. Jüngst ist der kommunistischen Regierung dabei ein weiterer Erfolg gelungen. Ende März haben der staatliche chinesische Öl- und Gasriese CNOOC und die französische TotalEnergies den ersten LNG-Handel in chinesischer Währung abgewickelt.
Bereits seit Längerem versucht Peking, mehr Handelsabkommen in Yuan respektive Renminbi (RMB), wie die Währung im Allgemeinen in der Volksrepublik genannt wird, offiziell abzuschliessen. Präsident Xi Jinping machte im Dezember 2022 während eines Besuchs in der saudischen Hauptstadt Riad klar, dass China die Schanghaier Börse als Plattform für Yuan-Abrechnungen von Öl- und Gasgeschäften «in vollem Umfang» nutzen wird. Auf offene Ohren stösst das Reich der Mitte mit seiner Strategie vor allem in Russland, das im Zuge westlicher Sanktionen zunehmend Yuan annimmt. Bis der Greenback als globale Reserve vollständig ausgebootet wird, ist es aber noch ein weiter Weg. Im Welthandel entfallen rund 41% auf den Dollar und nur etwa 2.7% auf den Yuan. Zudem werden rund 60% aller Devisenreserven in der US-Währung gehalten, zum Beispiel mit US-Staatsanleihen. Doch diesbezüglich kommt China wieder ins Spiel. Auf rund USD Bio. 1 beläuft sich der Bestand an US-Staatsanleihen. Sollte Peking diese auf den Markt werfen, würde der Greenback stark geschwächt werden und seine Vormachtstellung möglicherweise verlieren.
Auf der einen Seite hängen also denkbare Bond-Verkäufe wie ein Damoklesschwert über dem Dollar, auf der anderen steht das Bestreben Chinas, im Welthandel seine eigene Währung zu etablieren. Die gemeinsame Studie des Wilson Centers und des britischen Marktforschers Enodo Economics kommt zu dem Ergebnis, dass Peking in den kommenden fünf Jahren Fortschritte machen wird, vor allem in Bereichen, die bis dato für Pekings RMB-Internationalisierung nicht wichtig waren. Zu den Hauptbereichen zählen die Experten beispielsweise den zunehmenden Zufluss chinesischer Ersparnisse in die Finanzmärkte Hongkongs. Zudem dürfte Peking technische Anpassungen vornehmen, damit chinesische Staatsanleihen als Sicherheiten für grenzüberschreitende Finanztransaktionen verwendet werden können, was einen weltweiten Nachfrageschub nach diesen Instrumenten auslösen könnte.
Als Belastungsfaktor für den Greenback kommt zudem noch der zum Teil grosse Zinsunterschied zwischen den USA und Schwellenländern hinzu. So haben unter anderem die mexikanische als auch die brasilianische Notenbank bereits vor dem Federal Reserve auf die geldpolitische Bremse getreten, was im Umkehrschluss zu positiven Zinsdifferenzen zum US-Dollar führte. Die Banco Central do Brasil startete bereits am 17. März 2021 ihren Erhöhungszyklus und schraubte den Leitsatz von einst 2.00% auf mittlerweile 13.75% empor. Zum Vergleich: Das Fed hob seine Zinsspanne seit März 2022 von 0.00% bis 0.25% auf inzwischen 4.75% bis 5.00% an. Die deutliche Ausweitung der Zinsdifferenzen treibt auch die Wechselkurse an. So wertete der brasilianische Real seit Mai 2021 um rund ein Zehntel gegenüber dem Greenback auf.
Quelle: Central banks, Refinitiv