Am 22. Januar ist China in das Jahr des Wasser-Hasen gestartet. Schon knapp zwei Wochen vor diesem mit vielen privaten Besuchen und Festen verbundenen Anlass hatte Peking die strikten Covid-19-Einschränkungen gelockert. Millionen Menschen machten sich trotz weiterhin hoher Infektionszahlen frühzeitig aus den Grossstädten heraus auf den Weg, um pünktlich zum Neujahrsfest bei ihren Familien zu sein. Die frühe Reisewelle macht die Aufbruchstimmung im Reich der Mitte deutlich. Nach harten Jahren der pandemiebedingten Entbehrungen soll die Wiederöffnung das Land neu aufblühen lassen. Die jüngsten Zahlen zum Bruttoinlandsprodukt zeigen, dass die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt einen kräftigen Impuls gut gebrauchen kann: 2022 hat sich das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in China um lediglich 3.0% ausgedehnt. Abgesehen vom ersten Corona-Jahr 2020, als das wichtigste Schwellenland nur noch um 2.2% expandiert hatte, war das die tiefste Wachstumsrate seit 1976.
Peking hatte sich für das vergangene Jahr eigentlich ein Planziel von rund 5.5% gesetzt. Allerdings machte die eigene, lange Zeit verfolgte Null-Covid-Strategie der Staatsführung hier einen dicken Strich durch die Rechnung. 2023 soll alles besser werden. Diese Botschaft verbreitete China zuletzt auch am Weltwirtschaftsforum in Davos. Vize-Ministerpräsident Liu He verspricht sich insbesondere von einer Entfesselung der Binnennachfrage konjunkturelle Fortschritte. «Falls wir hart genug arbeiten, sind wir zuversichtlich, dass Chinas Wachstum 2023 sehr wahrscheinlich zu seinem Normaltrend zurückkehren wird», erklärte er. Corona ist laut Liu mittlerweile unter Kontrolle. «China hat den Höhepunkt der Infektionen überschritten», erklärte der Vize-Ministerpräsident in Davos. Eine konkrete Konjunkturprognose gab der Spitzenpolitiker aber nicht ab. Er sprach in diesem Zusammenhang lediglich von einem «vernünftigen Wachstum». 2021 hatte China ein BIP-Wachstum von 8.4% erreicht.
Eine solche Drehzahl dürfte der zuletzt stotternde Konjunkturmotor trotz allem Optimismus im neuen Jahr kaum erreichen. Reuters hat zahlreiche Ökonomen nach ihren Schätzungen befragt. Aus der Umfrage resultierte für 2023 eine durchschnittliche Wachstumserwartung von 4.9%. Noch einen Tick optimistischer fällt die Prognose von HSBC aus. Die britische Grossbank traut China im laufenden Jahr eine BIP-Steigerung von 5.0% zu. Ihre Ökonomen gehen davon aus, dass Peking eine Reihe von Massnahmen zur Stimulierung der Wirtschaft verabschieden wird. Gleichzeitig dürften die Verantwortlichen versuchen, die Inflation im Zaum zu halten. «Wir glauben, dass die Auswirkungen der grossen Wiederöffnungen, unterstützt durch eine Erholung des kränkelnden Immobilienmarktes, die Credit Spreads einengen und die Währung unterstützen werden», erklären die HSBC-Ökonomen. Dementsprechend rechnen sie auch mit einer Rückkehr der Mittelzuflüsse in den chinesischen Aktienmarkt. Konkret traut HSBC der Börse in Shanghai 2023 eine prozentual zweistellige Performance zu.
Wie so oft sind die Kurse dem Stimmungsumschwung schon vorausgelaufen. Bereits im Herbst setzten die Werte aus Fernost zu einem beachtlichen Rebound an. Abzulesen ist das Comeback auch am Swissquote China’s Dragons Index. Die aktuell mit 26 Aktien bestückte Benchmark legte seit Ende Oktober um mehr als ein Drittel zu. Dank der kurzfristigen Rallye ist der chinesische Markt dem im Sommer 2021 lancierten Abwärtstrend entkommen. Die Rückkehr des Riesenreiches zur Normalität spricht zusammen mit den skizzierten politischen Ambitionen dafür, dass die Kurse weiter nach oben gehen. Allerdings sind die optimistischen Szenarien nicht frei von Risiken. Beispielsweise könnte ein stärkerer Abschwung in anderen Wirtschaftsregionen, insbesondere den USA, das Comeback Chinas stören. Hinzu kommen die hohe Verschuldung der Volksrepublik sowie das nach wie vor grassierende Corona-Virus.
*Konsensschätzung; Quellen: Statista, Reuters; Stand: Januar 2023. Historische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen.