Zwischen dem Sitz der US-Notenbank in Washington D.C. und der Grasberg Mine auf der Insel Papua-Neuguinea liegen der gesamte nordamerikanische Kontinent und der Pazifik. Die Luftlinie von rund 15'000 Kilometern ändert nichts daran, dass die Fed-Beschlüsse direkt auf die weltgrösste Abbaustätte von Gold durchschlagen, deren nachgewiesene Reserven die Betreiber Ende 2022 auf mehr als 26 Mio. Unzen taxierten. Eigentlich ist die derzeitige US-Geldpolitik für die Profitabilität dieses «Schatzes» alles andere als günstig. Im Kampf gegen die Inflation hat die Fed den Leitzins seit März 2022 von nahe null auf die aktuelle Spanne von 5.25% bis 5.50% erhöht. In dieser Zeit hat sich der Preis für die Feinunze Gold – unter ziemlichen Schwankungen – per saldo stabil entwickelt.
Diese Entwicklung ist auf den ersten Blick erstaunlich. Schliesslich sind steigende Renditen per se «Gift» für Goldanlagen. Der Grund: Das Edelmetall wirft keine laufenden Erträge ab. Insofern steigen mit den Zinsen die Opportunitätskosten für den Besitz von Gold. Hinzu kommt, dass der US-Dollar während des jüngsten Zinserhöhungszyklus gegenüber anderen wichtigen Währungen deutlich aufgewertet hat. Eigentlich gilt auch der Greenback als Kontraindikator für Gold. Typischerweise verteuert eine USD-Aufwertung das Edelmetall für Käufer ausserhalb des Dollarraums. «Die Gold- und Silberpreise bleiben angesichts höherer US-Realrenditen und eines stärkeren US-Dollars widerstandsfähig», stellt das Global Commodities Research von J.P. Morgan treffend fest. Nach Ansicht der Analysten ist das nicht neu. Auch während früherer Fed-Erhöhungszyklen hätte die negative Korrelation von Gold zu den USD-Realrenditen nachgelassen. Sobald die US-Notenbank eine Pause eingelegt oder die Zinsen gesenkt habe, sei die Asymmetrie wieder stärker zum Tragen gekommen.
«Diese Dynamik hat zur jüngsten Resilienz von Gold beigetragen und untermauert auch unsere Vorhersage für neue Rekordpreise im Jahr 2024», schreiben die Analysten. Neben der Verbindung zu den USD-Renditen und dem Dollarkurs nennen sie Käufe von Seiten der Notenbanken sowie die Geopolitik als weitere Gründe für die Stabilität der Notierungen seit 2022. In der Tat hat gerade der jüngste Angriff der radikal-islamistischen Hamas auf Israel den Status des Edelmetalls als Krisenwährung untermauert. Innert einer Woche zog der Preis für die Feinunze um mehr als 5% an. Schon lange vor der Eskalation im Nahen Osten hatten die globalen Währungshüter beherzt zugegriffen. Laut Zahlen des World Gold Council (WGC) wurden im vergangenen Jahr durch die Notenbanken insgesamt 1'082 Tonnen Gold gekauft. Das war die grösste Menge seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1950. Zwar hat die Dynamik zuletzt etwas nachgelassen. Beispielsweise stand die türkische Zentralbank im zweiten Quartal 2023 auf der Verkäuferseite. Für das erste Semester meldete das WGC, nicht zuletzt wegen eines verstärkten Engagements der People’s Bank of China (PBOC), dennoch rekordhohe Notenbankkäufe von in Summe 387 Tonnen.
Derweil verzeichnen physisch besicherte Exchange Traded Funds (ETFs) seit mehreren Quartalen Mittelabflüsse. Das könnte sich laut J.P. Morgan ändern, sobald sich der Goldpreis in Richtung Allzeithoch aufmacht. Der historische Höchststand der Feinunze liegt bei USD 2'072.50. Er wurde im August 2020 erreicht, während der Anfangsphase der Corona-Pandemie. J.P. Morgan traut dem Edelmetall im zweiten Semester des kommenden Jahres den Sprung über dieses Niveau zu. Im vierten Quartal 2024 sieht die US-Bank den durchschnittlichen Preis bei USD 2'175. Im Jahr darauf könnte Gold sogar im Mittel bei USD 2'250 notieren. Dreh- und Angelpunkt dieser offensiven Prognose ist die US-Geldpolitik. Zuletzt hat die Fed falkenhafte Töne angeschlagen und unter dem Motto «higher for longer» die Märkte darauf vorbereitet, dass die Zinsen für länger auf einem höheren Niveau bleiben könnten. Dennoch erachtet J.P. Morgan den Erhöhungszyklus als beendet. «Unsere Ökonomen erwarten als nächsten Fed-Schritt eine Zinssenkung von 25 Basispunkten im dritten Quartal 2024», erklärt das Commodities Research. Wenngleich die «Higher for longer»-Debatte das Edelmetall in den kommenden Monaten bremsen könnte, positioniert sich J.P. Morgan mit Blick auf 2024 eindeutig im Lager der Bullen. Natürlich ist der Optimismus nicht frei von Risiken. Insbesondere eine hartnäckig hohe Inflation im Verbund mit soliden US-Konjunkturdaten könnte die Zinsen weiter nach oben treiben und Gold unter Druck setzen.
Quelle: Bloomberg Historische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Quelle: World Gold Council; Stand: October 2023. Historische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen.