Leitzinserhöhungen gehören in der aktuellen Zeit – ganz zum Leidwesen der Aktienmärkte – beinahe schon zum alltäglichen Bild. Erst vergangene Woche hat die EZB entgegen allen Hoffnungen die Zinsen weiter angehoben. Der richtungsweisende Einlagensatz, den Banken für das Parken überschüssiger Gelder von der Notenbank erhalten, stieg von 3.75% auf 4.00%. Das war die zehnte Anhebung innerhalb von etwas mehr als zwei Jahren. In den USA blickt man sogar bis dato auf elf Erhöhungen zurück – ob noch weitere hinzukommen, ist ungewiss. Zwar drehten in der Schweiz die heimischen Währungshüter etwas weniger streng an der Zinsschraube, doch kam es auch hierzulande seit Juni 2022 bereits zu insgesamt fünf Schritten nach oben. Dabei zog das Zinsniveau von -0.75% auf inzwischen 1.75% an.
Die Massnahmen gehen mit einer langen Phase der galoppierenden Inflation einher. Selbst wenn die Teuerung ihren Zenit bereits überschritten haben dürfte und in den vergangenen Monaten den Rückwärtsgang einlegte, befindet sich das Niveau immer noch deutlich über den Zielwerten der Währungshüter. Die EZB machte nach der jüngsten Sitzung klar, dass sie an ihrem Mandat der Preisstabilität festhalten und folglich die Zinsen so lange wie nötig hochhalten werde, um die Inflation zurückzudrängen. „Eine Zinssenkung steht nicht zur Debatte“, so Präsidentin Christine Lagarde. Mit dieser Strategie ist die EZB aber nicht alleine, auch die SNB und die Fed möchten die Kaufkraft des Geldes erhalten und peilen eine Teuerung von nicht mehr als 2% an. Nachdem in der Eurozone nun das höchste Zinsniveau seit dem Start der Währungsunion 1999 erreicht wurde, richtet sich das Augenmerk auf Fed und SNB. Am 20. und 21. September (nach Redaktionsschluss) werden sie ihre geldpolitischen Entscheidungen nach der Sommerpause fällen. Die Funds Rate der Fed lag vor der Sitzung bei 5.25% bis 5.50%.
Vor allem in den USA wird es spannend, denn dort kam es bezüglich der Verbrauchpreise zuletzt zu einer unerwarteten Gegenbewegung im Abwärtstrend. Die Teuerung legte im August um 3.7% zu, nach 3.2% im Juli. Das war deutlich mehr als von Ökonomen erwartet. Selbst wenn die von der Notenbank stark beachtete Kernrate, welche um die schwankungsanfälligen Preise für Energie und Lebensmittel bereinigt wird, wie erwartet auf 4.3% von 4.7% im Juli gesunken ist, sehen die Experten noch kein Ende der Zinserhöhungspolitik. Die Terminmärkte gehen zwar davon aus, dass das Federal Open Market Committee diesen Monat eine Pause einlegen wird, doch liegt die eingepreiste Wahrscheinlichkeit für einen weiteren, möglicherweise letzten Zinsschritt der Fed auf der Sitzung im Dezember bei 40%. Vor einem Monat waren es erst 33%. In der Eidgenossenschaft ist der Zinsgipfel ebenfalls noch keine ausgemachte Sache, selbst wenn die Inflation zuletzt bereits unter die 2%-Marke gefallen ist. Einige Ökonomen rechnen damit, dass die Teuerung Richtung Jahresende wieder über das SNB-Zielband von 0% bis 2% steigen wird. Daher müssen die Währungshüter weiter auf der Hut sein.
Den Banken spielt das hohe Zinsniveau in die Hände. Wie die jüngste Berichtssaison zeigte, haben zahlreiche Institute wachsende Zinserträge ausgewiesen. Die italienische Grossbank UniCredit hat aufgrund der gestiegenen Zinsen sogar ihre Prognose angehoben. Auch die Zinsmarge, also der Abstand zwischen dem Zinsniveau, das die Bank von Kreditkunden verlangt, und dem Zinsniveau, das sie für Kundeneinlagen zahlt, zieht weiter an. Laut DWS steuert der Nettozinsertrag im dritten Quartal auf ein Wachstum von 2.4% gegenüber dem Vorquartal zu. Grund ist allen voran die Zinsmarge, die im Jahresvergleich um satte 36% ausgeweitet wurde. Diese Entwicklung ist für den gemeinen Bankkunden allerdings weniger erfreulich, bedeutet sie doch, dass die restriktivere Geldpolitik der Notenbanken tendenziell immer weniger beim Sparer ankommt. Doch Anleger aufgepasst: Es gibt lukrative Alternativen zu Tagesgeld und Co.
Grafik: Monatliche Inflationsrate vs. Leitzins Schweiz