Aktien von Versicherungskonzernen gelten an der Börse eher als langweilig und verstaubt. Doch sollten Anleger auf dieses Klischee nichts geben. Dass die Branche durchaus auch Charme besitzt, zeigte sich eindrucksvoll in diesem Jahr. Während beispielsweise die hochgeschätzten Autoaktien den Rückwärtsgang einlegten und die Techs gar in die Tiefe stürzten, dominiert bei der Assekuranz das Pluszeichen. So kletterten beispielsweise die Valoren von Zurich Insurance seit Jahresbeginn um 13% empor und führen damit sogar kurz vor Ende des Jahres das SMI-Ranking an. Aktuell hat der Titel den Gesamtmarkt um 27 Prozentpunkte hinter sich gelassen. Bei unseren deutschen Nachbarn zeigt sich ein vergleichbares Bild: Mit einem Zuwachs von 18.3% rangiert der weltgrösste Rückversicherer Münchener Rück auf Platz drei im DAX und konnte damit den Bluechip-Index um 27.8 Prozentpunkte outperformen.
Zugute kommt dem Versicherungssektor derzeit sein relativ krisenresistentes Geschäftsmodell. Darüber hinaus sind steigende Prämien und hohe Dividendenzahlungen in Zeiten von geopolitischen Konflikten und Wirtschaftsabschwung geschätzte Attribute. Hinzu kommt die lang ersehnte Trendwende bei den Zinsen. Nach vielen Jahren mit negativen Vorzeichen änderten die Notenbanken in diesem Jahr ihren geldpolitischen Kurs. Die Europäische Zentralbank (EZB) erhöhte die Leitzinsen im Juli dieses Jahres um 50 Basispunkte und legte im September und Oktober um jeweils weitere 75 Basispunkte auf dann 2% nach. Auch für die letzte geldpolitische Sitzung des Jahres 2022 am 15. Dezember (nach Redaktionsschluss) erwarteten Ökonomen im Vorfeld einen weiteren Aufwärtsschritt um mindestens einen halben Prozentpunkt. Frankreichs Zentralbankchef Francois Villeroy de Galhau sagte Anfang Dezember, dass er auch im kommenden Jahr mit weiteren Erhöhungen rechne.
Während viele Unternehmen – insbesondere die hochverschuldeten – unter den anziehenden Sätzen leiden, freut sich die Assekuranz, denn dies führt bei den Konzernen dazu, dass sie festverzinsliche Wertpapiere mit höheren Zinszahlungen kaufen und so höhere Gewinne erzielen können. Beispielsweise produzieren Lebensversicherungen die versprochenen Garantiezahlungen überwiegend mit risikoarmen, festverzinslichen Wertpapieren wie Staatsbonds. Lag die Rendite von 10-jährigen US-Anleihen vor einem Jahr noch bei 1.5%, beträgt diese aktuell 3.5%. Auch im Euroraum kam es zu einem Zeitenwechsel. Die deutsche Bundesanleihe rentiert aktuell mit 1.9%, im März lag diese sogar noch im negativen Bereich. Eine Entwicklung, die nicht ohne Folgen bleibt: Kürzlich kündigte die Allianz Lebensversicherung an, zum ersten Mal seit 2008 die Gesamtverzinsung für alle Produktlinien 2023 anzuheben.
Auf der Kapitalanlage liegt derzeit die Hoffnung der Münchener Rück, um im laufenden Jahr den angepeilten Nettogewinn von EUR Mrd. 3.3 (2021: 2.9) zu erreichen. Während nämlich der Wirbelsturm «Ian» Milliardenschäden verursachte und damit das Kerngeschäft belastet, geht es bei der Erstversicherungstochter Ergo aufwärts. Allein rund EUR Mio. 200 bringt ein Bilanzierungseffekt in der Lebensversicherungssparte, die nach Ansicht des Unternehmens aufgrund steigender Zinsen auch in Zukunft wieder mehr Gewinn abliefern dürfte. Hinzu kommt, dass die auf 3.0% gestiegene Rendite bei Neuanlagen für die Zukunft höhere Erträge verheisse, so Finanzvorstand Christoph Jurecka. In puncto Kapitalanlage möchten die beiden grössten deutschen Rückversicherer in Zukunft auch gemeinsame Sache machen. Die Münchener Rück und die Hannover Rück planen in einem Joint Venture gemeinsame selektive Investitionen in alternative Asset-Klassen. Die Analystenzunft ist positiv für die Münchener Rück gestimmt und rechnet mit einem Anstieg beim Ergebnis je Aktie von einem Zehntel in diesem Jahr. Das prozentual zweistellige Wachstum soll auch 2023 und 2024 anhalten. Ein ähnlich positiver Trend zeigt sich bei der Hannover Rück.
Quelle: Refinitiv, e = erwartet
Quelle: Refinitiv