Seit dem 11. August ist die «Nordic Hunter» auf grosser Fahrt. Der 277 Meter lange und 48 Meter breite Tanker machte sich vom ägyptischen Hafen Suez auf in Richtung Le Havre. Laut dem Portal VesselFinder sollte das Schiff am 23. August (nach Redaktionsschluss) den auf der französischen Seite des Ärmelkanals liegenden Hafen erreichen. Ihre Jungfernfahrt hatte die «Nordic Hunter» Mitte Juli im südkoreanischen Yeosu angetreten. Dort war der Tanker mit einem Fassungsvermögen von 2 Mio. Barrel Rohöl gebaut und an Nordic American Tankers (NAT) übergeben worden. Das US-Unternehmen hat sein jüngstes Flottenmitglied gleich an die ASYAD Shipping Company weitervermietet. Sechs Jahre lang wird das Logistikunternehmen des Sultans von Oman die «Nordic Hunter» für den Transport von Öl aus dem Mittleren Osten einsetzen. Die Neuanschaffung ist nicht alleine unterwegs. Im Gegenteil: Auf den Weltmeeren wimmelt es geradezu vor Tankern. Das gilt für den Persischen Golf genauso wie für den Suezkanal, die Meerenge vor Gibraltar, die Westküste Afrikas oder den Golf von Mexiko.
Das dichte Gedränge der Tanker auf diesen Routen steht in einem Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Er hat die Kräfteverhältnisse auf den globalen Energiemärkten in gewisser Weise verschoben. Gerade die westlichen Industrienationen kehren dem Lieferanten Russland – dessen Förderung vor allem mittels Pipelines Richtung Europa transportiert wird – den Rücken. «Das Öl muss von einer Vielzahl von Quellen beschafft werden», stellt NAT im Bericht für das erste Quartal 2022 fest. Daraus resultieren dem Unternehmen zufolge längere und auch lukrativere Schiffstransporte. Die Organisation der Erdöl exportierenden Länder hat reagiert und weitet die während der Coronakrise stark gedrosselte Produktion langsam wieder aus. Das gilt auch und gerade für das führende OPEC-Mitglied Saudi-Arabien. Laut Zahlen der U.S. Energy Information Administration (eia) fördert das Königreich seit Monaten im Schnitt pro Tag mehr als 10 Mio. Barrel Öl. Über dieser Schwelle hatte sich die Produktion zuletzt im Frühjahr 2020 bewegt (siehe Grafik).
Der wachsende Bedarf an Transportkapazitäten schlägt auch auf die Preise durch. Belege für diese These liefert die Baltic Exchange. Der in London ansässige Spezialist für Schifffahrtsdaten berechnet unter anderem den Baltic Exchange Dirty Tanker Index. Dabei handelt es sich um eine Benchmark für die beim Transport von Rohöl anfallenden Kosten. In die Kalkulation fliessen Informationen von unterschiedlichen Marktteilnehmern ein: Schiffsbroker und -eigner, Betreiber, Händler und Charterer. Sie geben Auskunft zu verschiedenen Handelsrouten. Dazu zählen beispielsweise vom Mittleren Osten ausgehende Touren, Transporte vom Schwarzen Meer in das Mittelmeer, von Südostasien in Richtung der australischen Ostküste, durch die Nordsee, von Westafrika oder der US-Golfküste nach China. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine ist der Baltic Exchange Dirty Tanker Index auf das höchste Niveau seit dem Herbst 2019 gestiegen (siehe Chart).
Die Transportunternehmen können die steigenden Einnahmen gut gebrauchen. Schliesslich müssen sie wegen der hohen Energiepriese tiefer in die Tasche greifen, um ihre Flotten zu betanken – ganz zu schweigen von den Investitionen, die ein Ausbau der Kapazitäten erfordert. Für Tanker der Kategorie Suezmax, zu der auch die eingangs erwähnte «Nordic Hunter» zählt, sind bei einer Lieferung in fünf Jahren USD Mio. 55 fällig. Wer ein solches Schiff sofort haben möchte, muss laut dem aktuellen «Compass Maritime Weekly Report» einen Aufschlag von mehr als 40% bezahlen. Allerdings dürfte es nicht gerade einfach sein, spontan zu investieren. «Die grossen Werften melden, dass sie vor 2026 kaum oder gar keine Kapazitäten für den Bau von Suezmax-Tankern haben», berichtet NAT. Das ist nach Ansicht der US-Amerikaner ein sehr positives Zeichen – sowohl für die langfristigen Aussichten des Marktes als auch für das Unternehmen selbst. Passend zu dieser Einschätzung hat die NAT-Aktie im bisherigen Jahresverlauf um annähernd 60% an Wert gewonnen und damit eine strauchelnde Wall Street weit hinter sich gelassen.
Quelle: U.S. Energy Information Administration; Stand: 22.08.2022 Historische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen.
Quelle Reuters; Stand: 22.08.2022 Historische Daten sind kein verlässlicher Indikator für zukünftige Entwicklungen.