Am 10. Dezember 2016 hatte die Organisation der Erdöl exportierenden Länder (OPEC) an ihrem Sitz in Wien Historisches zu verkünden. Auf einer Pressekonferenz informierte sie über eine gerade getroffene Absprache mit elf weiteren Ölstaaten, allen voran Russland. Ab Januar 2017 sollte die tägliche Ölproduktion um insgesamt rund 1.8 Mio. Barrel gekürzt werden. Knapp fünf Jahre sind seit dieser Geburtsstunde der so genannten OPEC+ vergangen. In dieser Zeit hat das Kartell massgeblichen Einfluss auf den Ölmarkt respektive die Energiepreise genommen. Als die Corona-Pandemie mit der globalen Wirtschaft die Rohstoffnotierungen abstürzen liess, steuerte die Gruppe mit weiteren Förderkürzungen gegen. Auf diese Weise trug sie massgeblich dazu bei, den enormen Lageraufbau des ersten Semesters 2020 zu stoppen. Mit den allmählichen Lockerungen der Corona-Einschränkungen zog der Ölverbrauch wieder an. Die Folge: In den vergangenen fünf Quartalen war der Markt stets unterversorgt (siehe Grafik).
Mit der zunehmenden Verknappung des wichtigsten Energieträgers zogen die Preise kräftig an. Zuletzt hat die Rallye noch einmal an Tempo gewonnen. Innert eines Monats verteuerte sich ein Barrel Brent um 12% (siehe Chart). Jetzt kostet die Nordseeölgattung so viel wie seit rund drei Jahren nicht mehr. Einmal mehr spielen die OPEC+ bei den skizzierten Avancen eine tragende Rolle. Am 4. Oktober fand das 21. Treffen der Kooperationspartner statt. Die im Videoformat ausgetragene Sitzung auf Ministerebene war nach weniger als 30 Minuten zu Ende. Dann bestätigten die OPEC+ den Plan, die Produktion im November um 400'000 Barrel pro Tag zu steigern. «Angesichts des deutlich gestiegenen Preisniveaus und der angespannten Marktlage hatten nicht wenige Marktteilnehmer auf eine stärkere Angebotsausweitung gehofft», kommentierte Carsten Fritsch, Rohstoffanalyst der Commerzbank, den Beschluss. Nun wird der Markt seiner Ansicht nach auch im vierten Quartal ein beträchtliches Angebotsdefizit aufweisen.
Die U.S. Energy Information Administration, kurz EIA, teilt diese Einschätzung. In ihrer jüngsten Prognose geht sie davon aus, dass die weltweite Ölproduktion im Zeitraum von Oktober bis Dezember der Nachfrage pro Tag um durchschnittlich mehr als 800'000 Fass hinterherhinkt. Die OPEC sieht sogar ein in etwa doppelt so grosses Defizit. Carsten Fritsch führt die Knappheit auch auf die hohen Gaspreise zurück. Sie hätten zur Folge, dass die Stromproduktion in manchen Regionen von Gas auf Öl umgestellt wird. «Die staatliche saudi-arabische Ölgesellschaft beziffert diesen zusätzlichen Nachfrageeffekt auf 500'000 Barrel pro Tag», schreibt der Analyst in einem Kommentar. Hinzu kommt, dass die Produktionsausweitungen hinter dem angekündigten Niveau zurückbleiben könnten. Laut Fritsch schaffen es beispielsweise die OPEC-Mitglieder Angola und Nigeria nicht, die vereinbarten zusätzlichen Mengen zu liefern. Nicht zuletzt deswegen hätten die OPEC+ als Ganzes im August und September die angekündigte Produktionsausweitung nicht erreicht. Noch hat sich die Gruppe nicht dazu geäussert, ob solche Lücken in Zukunft durch Länder mit genügend freien Kapazitäten gefüllt werden.
Der Druck auf das Kartell, die Produktion doch noch stärker als geplant zu erhöhen, ist jedenfalls gross. «Bislang sieht es aber nicht so aus, dass die OPEC+ dazu bereit ist», meint der Commerzbank-Experte. Ausserdem würden die USA den Ausstoss nur geringfügig erhöhen. Laut EIA soll die US-Ölproduktion im vierten Quartal gegenüber dem Zeitraum von Juli bis September um lediglich 2.2% zunehmen. Das Commerzbank Research geht alles in allem von weiter steigenden Preisen aus. Ausbremsen könnte das schwarze Gold nach Ansicht der Frankfurter die US-Regierung mit einer Freigabe der strategischen Ölreserven. Einfluss auf die Notierungen dürfte gerade in den kommenden Wochen und Monaten auch das Wetter auf der nördlichen Hemisphäre nehmen. Ein strenger Winter würde den Energiebedarf zusätzlich forcieren. Selbst wenn die meisten Vertreter der OPEC+ aus wärmeren Gefilden kommen, dürfte die meteorologische Situation in der Gruppe durchaus eine Rolle spielen. Wie auch immer: Am 4. November findet das 22. Meeting statt. Dann könnten die zusammengeschlossenen Lieferanten einmal mehr massgeblichen Einfluss auf die Energiepreise nehmen.
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